Neun Kilometer stromauf sind Standard beim wöchentlichen Training der Breitensportler im Uerdinger Ruderclub. Stefan Mostardt und Susanne Böhling verdoppelten die Anstrengung, hoch bis in den Düsseldorfer Medienhafen.
Ich dachte an 50 Kilometer. So von Dormagen oder nach Wesel runter und das Boot mit dem Hänger transportieren. Aber genau das war Stefan zu umständlich. „Wir können ja mal hoch bis Düsseldorf rudern“, schlug er vor. Und ich willigte ein.
Es war Samstag, 19. Mai, 12 Uhr, als wir uns im Ruderhaus trafen, den Stromer zu Wasser ließen und loslegten. Anders als sonst, querten wir den Rhein sofort und ersparten uns so die Knüppelei entlang der Kaimauer, die erste große Hürde, die wir bei unserem wöchentlichen Stegrudern nicht mieden. Bevor wir das Aschelöcksken erreichten, kehrten wir zurück ans linke Ufer, die Strömung wird dort in der leichten Außenkurve sehr stark und der Schiffsverkehr fährt meist ziemlich eng unter Land.
Jetzt befanden wir uns wieder auf der Seite, die wir auch sonst beim wöchentlichen Stegrudern nehme, hinauf zur Fähre zwischen Düsseldorf Kaiserswerth und Meerbusch, Langst-Kierst, wo wir meist nach neun Kilometern am Campingplatz mit der schönen Bude rasten. Ein Bier, die Sonne, die Zehen in den aufgeschüttelten Sand bohren, erleben wir dort immer ein paar Stunden Urlaub vom Alltag, bevor wir locker den Weg zurück nehmen.
Als wir sie an diesem Samstag erreichten, war von Rast keine Rede. Stefan sagte: „Jetzt geht die Reise erst richtig los. Bis hierhin kennen wir alles.“ Jeder Kribbenkopf, jede Untiefe, jede Kilometermarke, die Häuser auf der gegenüberliegenden Seite, in Düsseldorf Wittlaer. Das wurde jetzt anders, und obwohl wir den normalen Erschöpfungsgrad schon erreicht hatten, forderte der Weg nun besondere Aufmerksamkeit. Kurz bevor wir die Flughafenbrücke (weitere 1,5 Kilometer) erreichten, mussten wir den Rhein erneut queren, die Gegenströmung wurde erneutzu stark. Nach weiteren fünf Kilometer erforderte Harndrang ein kurzes Anlegen. „Wahrscheinlich die am wenigsten geeignete Stelle auf der ganzen Strecke“, mutmaßte Stefan, weil wir den Grund nicht sehen konnten, der auf unserer Hausstrecke immer steinig ist. Aber das Wasser war trüb, denn der Grund war sandig und aufgewühlt und also das Anlegen völlig entspannt. Es lohnte sich nicht einmal, die Schuhe am Ufer wieder anzuziehen.
Kurz vor der nächsten Kurve wechselten wir erneut die Seite. Von dort aus sahen wir bereits die Messe Düsseldorf. „Zur nächsten Boot fahren wir mit dem Stromer hier hoch“, schlug ich vor. „Dann brauchen wir keinen Parkplatz.“ Ein Scherz, denn die weltgrößte Messe für Wassersport findet im Januar statt, und es dürfte knapp werden mit der Tageshelligkeit, die für Fahrten auf dem Rhein unbedingt erforderlich ist. Schließlich waren es fast drei Stunden, die wir bis hierhin gebraucht hatten. Wenig später zeigte sich die Theodor-Heuss-Brücke. Am Ufer nutzen mehr und mehr Menschen das schöne Wetter zum sonnen, Kinder plantschten mit den Füßen im seichten Wasser oder schleppten Sandeimer voll Wasser, die sie vor den Füßen ihrer Eltern leerten.
Zu dem konstant starken Schiffsverkehr kamen jetzt auch noch die vielen Ausflugdampfer, Motorboote, in denen schnittige Jünglinge ihren Mädels zeigten, wie viel Geld ihre Väter haben und Jet-Skis. Das füllte nicht nur die Luft mit Lärm, das machte vor allem das Wasser sehr unruhig, zumal niemandem in den Sinn kommt, auf die zwei Menschen in dem einer Nußschale gleichenden Ruderboot Rücksicht zu nehmen. Schlimm wurde es ab Kilometer 647, bei der Oberkasseler Brücke. Von dort aus stromauf reflektiert die Kaimauer der Rheinpromenade die von den Booten und Schiffen aufgeworfenen Wellen, es gibt Kreuzwellen und insbesondere an den Kribbenköpfen sind sie sehr hoch und die Strömung stark. Jedesmal stellte es eine echten Kraftakt dar, sie zu Umschiffen. Dazu minderte ein leichter bis mittelschwerer Erschöpfungszustand zumindest meine Konzentrationsfähigkeit, an manchen Stellen gelang es mir nicht, das Blatt auszuheben, was unser Vorwärtskommen weiter behinderte.
Bei Kilometer 643 konnten wir den Rhein queren und in den Medienhafen einlaufen. Wir fanden einen freien Liegeplatz mit Nachbarn, die uns eine Leine zum Festmachen liehen und schleppten uns in die Meerbar am Geury-Haus, wo wir in die weichen Polster einer gerade frei gewordenen Lounge fielen.
„Ihr seid mit dem Boot hier?“ fragte die Bedienung. Unser Aufzug unterschied sich doch deutlich von dem der anderen Gäste. „Paddler oder Ruderer?“ setzte sie nach. Sie zeigte sich erleichtert über unser „Ruderer“. „Gott-sei-Dank“, sagte sie. „Das habe ich nämlich auch mal gemacht“ und die traditionelle Abneigung gegen die Kanuten beibehalten. „Bei Paddlern hätte ich mir überlegt, Euch wegzuschicken“, scherzte sie augenzwinkernd und verlangte zum Beweis die Schwielen in unseren Handflächen zu sehen. Nur mit Mühe richteten wir uns auf, wenn wir an unsere Getränke auf dem niedrigen Tischchen kommen wollten. Eineinhalb Stunden pausierten wir so und schöpften Kraft für den Rückweg.
Der erschien uns nahezu schwerelos. „Nur die letzten zwei Kilometer, die werden immer lang“, prophezeite Stefan. Und in der Tat fürchtete ich zum Schluss, mir würden die Finger augenblicklich abfallen. „Weißt Du, wovor mir graut“, fragte ich. Von Stefan kam ein lakonisches „Ja“, was mich aufhorchen ließ. Anscheinend graute diesmal auch ihm davor, das Boot auszuheben und die 30 Stufen vom Steg zum Bootshaus hinauf zu tragen, eine Anstrengung, die er sonst als solche gar nicht wahrnahm. Er willigte sogar ein, als ich vorschlug, ein zweites Paar Böcke oben am Steg zu platzieren, was er normalerweise mit dem bekannten Hinweis „zu umständlich“ abtat.
„So fertig war ich zuletzt nach meinem Marathon“, sagte er als wir angelegt hatten. Dann brachten wir noch das Boot nach oben und räumten alles auf. Um 20.30 Uhr trugen wir unsere Tour ins Fahrtenbuch ein.
„In der gleichen Zeit wären wir gemütlich 69 Kilometer von Leverkusen hinunter gerudert“, stellte ich sie anderentags in Frage, als wir uns wie üblich mit anderen Clubkameraden ins Boot setzten. „Aber das wäre nichts besonderes“, beschied Andreas Birmes. „Auf die Tour hingegen, kannst Du wirklich stolz sein.“
Text/Bilder: Susanne Böhling